"Untaten sind durch nichts zu rechtfertigen"

"In diesen Tagen jährt sich die Erinnerung an die Gräuel der Nazi-Zeit auch und gerade in unserem Land zum 85. Mal. Dieses Gedenken und Bedenken macht uns bewusst, wie fragil die Rechtssysteme, wie anfällig das Rechtsempfinden und wie irrig oder abgestumpft die Werthaltungen ganzer Gesellschaften und Epochen sein können. Aus diesen schmerzlichen Erfahrungen gilt es, für Gegenwart und Zukunft zu lernen. Als Christ sage ich: Nur dort konnten unsere Vorfahren einen Lichtstrahl in die dunkle Zeit bringen, wo es gelungen ist, neben aller eigenen Not und Sorge und unter allem eigenen Schmerz auch das Leid des anderen wahrzunehmen, mitzuempfinden und zum Impuls für das eigene Handeln zu machen. Manchmal ist dies auch tatsächlich geschehen, aus heutigem Rückblick freilich leider nicht oft und nicht mutig genug.
Unser heutiger Blick geht in den Nahen Osten. Der abscheuliche Terroranschlag der Hamas sprengt im wahrsten Sinne des Wortes in seiner Grausamkeit alle Vorstellungskraft. Er war ein Massaker. Und es kann keine Argumente geben, die solche Untaten in irgendeiner Weise rechtfertigen. Keine. In der Folge wird ein zunehmender Antisemitismus sichtbar, auch bei uns in Österreich wie zuletzt bei einer Friedhofsschändung in Wien, der längst überwunden sein sollte. Auch dieser ist zutiefst abzulehnen. Unser uneingeschränktes Mitgefühl, unsere entschlossene Solidarität gilt ausnahmslos allen Menschen und Familien, die auf allen Seiten direkt und indirekt Opfer dieser unmenschlichen Attacken und ihrer Folgen geworden sind und noch werden.
Am 8. November begehen Sie einen Festakt zur Wiedererrichtung der Synagoge in Graz, für die es vor 25 Jahren einen einstimmigen Beschluss des Grazer Gemeinderats gegeben hat. Verschiedene gesellschaftliche Gruppen, unter anderem auch die Diözese Graz-Seckau, haben mitgewirkt, dass mit der Synagoge jüdisches Leben in Graz in die Mitte gerückt wird. Da ich zeitgleich auf der Vollversammlung der Österreichischen Bischofskonferenz bin, sende ich diese Zeilen, um meine Gedanken und meine Verbundenheit zum Ausdruck zu bringen.
Vergangenheit und Gegenwart stellen uns so manche Fragen für die Zukunft, die wir - so hoffe ich - auch weiterhin gemeinsam angehen können. Für Sie alle erbitte ich Gottes Segen."
Dr. Wilhelm Krautwaschl, Diözesanbischof