Warum wir im Advent Marienmessen feiern
Das Lied "Tauet, Himmel, den Gerechten" wird traditionell bei vielen Roraten gesungen. Das Wort "Rorate" leitet sich vom lateinischen Eingangsvers dieser Messen ab: "Rorate coeli desuper et nubes pluant iustum" - "Tauet, Himmel, herab den Gerechten, die Wolken sollen ihn herabregnen!" (vgl. Jesaja 45,8)
Die lateinischen Worte, mit denen diese Stelle beginnt, wurden bereits früh in der Liturgie verwendet: Im vierten Jahrhundert sind Wechselgesänge belegt, in denen die lateinischen Worte "Rorate caeli" ("Tauet, Himmel")als Kehrvers dienten.
Das beliebteste Lied, das nicht im Gotteslob-Stammteil steht
Zur Rorate-Tradition gehört heute auch das Lied "Tauet, Himmel, den Gerechten", dessen heutiger Text auf den Jesuiten Michael Denis im 18. Jahrhundert zurückgeht. Obwohl es eines der beliebtesten Adventslieder ist, ist es eine Kuriosität im Gotteslob: Es steht nämlich nicht im Stammteil, der in allen deutschsprachigen Diözesen gleich ist. Dafür taucht es in jedem einzelnen Eigenteil auf, in dem die einzelnen Bistümer regional bedeutende Lieder zusätzlich aufnehmen. Der Grund dafür liegt in den großen regionalen Unterschieden in Text und Melodie. In Österreich und in den norddeutschen Bistümern sind sogar gleich zwei Varianten abgedruckt.
Was die Lieder gemeinsam haben: Da, wo man heute in der Einheitsübersetzung "lasst Gerechtigkeit regnen" liest, heißt es im Lied "Tauet Himmel den Gerechten"; das Wort "iustum" aus der lateinischen Bibelübersetzung, der Vulgata, lässt sich sowohl als "Gerechtigkeit" wie als den "Gerechten" übersetzen – und wird durch die Übersetzung des Lieds explizit auf Christus hin gedeutet, wo der hebräische Urtext diese christologische Deutung nicht zwingend macht.
Heute prägen die Rorate-Messen den Advent. Meist frühmorgens, vor Sonnenaufgang, werden diesen ruhigen Gottesdienste gefeiert, oft nur von Kerzen beleuchtet: Symbolisch wartet die Gemeinde in der dunklen Kirche auf das Kommen des Lichts, auf Christus. In den Tagen vom 17. bis 24. Dezember wurden Rorate-Messen einst so prunkvoll gefeiert, dass sie im Volksmund auch "Goldene Messen" genannt wurden.
Goldene Messe und Engelamt
Rorate-Messen als morgendliche Messen haben sich im Laufe der Zeit entwickelt. Wann genau, ist nicht mehr genau festzustellen; mindestens bis ins 15. Jahrhundert geht der Beginn der Tradition zurück, die ursprünglich Messen an Samstagen der Adventszeit als Votivmessen zu Ehren Marias vorsah. Als Evangelium diente die Verkündigung des Herrn aus dem Lukasevangelium, in dem der Erzengel Gabriel Maria die Geburt Jesu ankündigt – daher stammt, befördert durch die Verwendung der liturgischen Farbe Weiß, auch der alte Name "Engelamt".
Schon der Eingangsvers, "Taut, ihr Himmel", verweist dabei auf die Menschwerdung Gottes, die der Engel Maria verheißt. Die Erde, von der Jesaja hofft, dass sie sich öffnen möge, ist ein mütterliches Bild: "Darum wird der Herr selbst euch ein Zeichen geben: Siehe, die Jungfrau hat empfangen, sie gebiert einen Sohn und wird ihm den Namen Immanuel geben." Die Hoffnung des Propheten wurde wahr im Ja Marias zum Willen Gottes, seinen Sohn zu empfangen, und so findet die Rorate-Messe ihren Platz in der Vorbereitung auf das Fest der Geburt Jesu.
Marianische Frömmigkeit prägt auch Advent und Weihnachten
Der Advent läuft auf die Geburt Jesu zu – doch ohne Mutter keine Geburt, und daher prägt marianische Frömmigkeit heute noch Advent und Weihnachten. Das Fest wird quasi eingerahmt von Marienfesten: Am 8. Dezember, neun Monate vor Mariä Geburt, feiert die Kirche Mariä Empfängnis, das Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter. Das nächste Marienfest ist am 1. Januar mit dem Hochfest der Gottesmutter am Oktavtag von Weihnachten – und jede Rorate-Messe ist zugleich Marienmesse.
Damit kommt die Marienmesse aber der eigentlich geplanten liturgischen Adventszeit ins Gehege: Sie ist im Gottesdienst besonders geprägt, für jeden Tag gibt es ein eigenes Messformular mit Texten, die auf Weihnachten vorbereiten; besondere Messen und Heiligengedenktage sollen eigentlich zurücktreten vor der adventlichen Botschaft. Das wäre aber keine katholische Regelung, wenn es davon nicht Ausnahmen gäbe: Nämlich wenn "eine echte Notwendigkeit oder der pastorale Nutzen es erfordern" – und damit kann dann die traditionelle Rorate-Messe, für die das Messbuch ein eigenes Messformular unter dem Titel "Marienmesse am Samstag im Advent" kennt, auch an den anderen Werktagen gefeiert werden.
Bis dahin brennen aber die Kerzen früh am Morgen oder spät am Abend, und die Gottesdienstgemeinde kann einstimmen in die Hoffnung des Propheten Jesaja: "Taut, ihr Himmel, von oben, ihr Wolken, lasst Gerechtigkeit regnen!"
Felix Neumann